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Der besondere Stoffwechsel der Europäischen Landschildkröten

Schildkröten wurden in einem für uns Menschen fast unvorstellbaren Zeitraum von 230 Millionen Jahren auf ihre Lebensweise in speziellen Arealen mit einem ganz besonderen Kleinklima geprägt. In diesen Lebensräumen haben die Schildkröten besondere Mechanismen und Überlebensstrategien entwickelt und so über Jahrmillionen überleben können.

Auch die Verdauungsprozesse haben sich an das in der Ur-Macchia zur Verfügung stehende Futter angepasst.

Nach der Anatomie ihres Verdauungstraktes sind Europäische Landschildkröten reine Pflanzenfresser und auf die Verwertung von eiweiß-, fett-, kohlenhydrat-, kalorien- und nährstoffarmen, trockenen und faserreichen bis verholzten Pflanzen spezialisiert, die zudem in den heißen Sommermonaten nur relativ spärlich zur Verfügung stehen.

 

In ihren Ursprungshabitaten finden die Schildkröten nur für kurze Zeit zu Beginn und vor dem Ende ihrer Aktivitätszeit reichhaltiges, frisches grünes Futter. In den dazwischenliegenden Monaten herrscht teilweise extreme Trockenheit ohne jeden Niederschlag. Um zu überleben verändern sich die Grünpflanzen und passen sich an das heiße Klima an. Sie reduzieren das Größenwachstum, lagern stabilere Gerüststoffe (Lignine) ein und schützen sich mit dick bewachsten, behaarten oder bedornten Blättern gegen Verdunstung. Dadurch entstehen schwer verdauliche Faserstoffe und der Wasseranteil sinkt. Hohe Gehalte an Vitaminen und konzentrierte pflanzliche Sekundärstoffe werden eingelagert. Die Pflanzen schützen sich dadurch gegen starke UV-Strahlung und Fraßfeinde.

Der Rohfasergehalt wird hierdurch weiter gesteigert und die Faserqualität ändert sich von leicht zu schwer verdaulich.

Damit die Schildkröten diese derben trockenen Pflanzenfasern als Nahrung und damit als Energielieferant nutzen können, haben sie einen speziell aufgebauten Darm mit einer spezialisierten Darmflora entwickelt.

Die gefressenen Pflanzen werden durch Mikroorganismen, Einzeller und Bakterien fermentiert. Die Effektivität dieses Prozesses ist maßgeblich von der Verweildauer der Nahrung im Darm abhängig. Mit zunehmendem Anteil an schwer verdaulichen Fasern steigt die Aktivität des Darmes an. Wellenförmige Muskelbewegungen transportieren den Futterbrei hin und her. Die Einwirkzeit der Darmflora wird dadurch wesentlich verlängert und die Fasern werden intensiver und immer wieder erneut fermentiert. Endprodukte der Fermentation sind hauptsächlich kurzkettige Fettsäuren, die über die Darmwand resorbiert und von der Leber direkt als Brennstoff genutzt werden können.

Diese Fermentationsprozesse bringen gerade in der Zeit, in der die Schildkröten ohnehin nur wenig Futter finden und die Hitze des Tages meiden müssen, eine kontinuierliche Energieversorgung und die Schildkröten kommen mit verhältnismäßig geringen Mengen an Futter aus.

 

Nur im Frühjahr und wieder im Herbst finden die Schildkröten im Habitat mit den frisch keimenden Pflanzen ein reichhaltiges, kalorienreiches Futter vor.

Das in den Jungpflanzen und zarten Blättern enthaltene Eiweiß und die Kohlenhydrate bringen den jüngeren Schildkröten die nötigen Wachstumsschübe.

Die älteren Schildkröten brauchen nach dem Winter und wieder nach den kargen heißen Sommermonaten ebenfalls die in den Pflanzen enthaltene Energie. Die Weibchen benötigen dieses kalorienreiche Futter im Frühjahr zudem für die Produktion der Eier.

Die grünen Futterpflanzen in den ursprünglichen Habitaten der Schildkröten haben jedoch nichts mit den oft bei uns auf fetten Böden gewachsenen, regelrechten „Kalorienbomben“ zu tun. Diese Pflanzen wachsen schneller, sind energiereicher, größer, stark wasserhaltig und haben weniger Vitamine, Kalzium, Mineral- und Sekundärpflanzenstoffe. Das macht sie leicht verdaulich, weshalb die Darmmotorik nicht angeregt und der Nahrungsbrei ungenügend fermentiert wird. Die Darmpassagezeit verkürzt sich und der Kot wird weich ausgeschieden. Das wirkt sich schädigend auf die Darmflora aus und kann schwerwiegende Folgen haben.

Auch dauerhaft hohe Gehalte an Kohlenhydraten überfordern die enzymatische Verdauungsleistung im Dünndarm, sodass überschüssige Zucker- und Stärkeverbindungen den Blind- und Dickdarm erreichen. Das hat fatale Folgen für das Mikrobiom. Durch die Kohlenhydratvergärung säuert sich das Darmmilieu an, die wertvollen faserverwertenden Mikroorganismen sterben ab und gehen dem Tier regelrecht verloren.

Darmbakterien sind nicht nur für die Fermentation zuständig, sondern schützen auch den Organismus vor Infektionen, indem sie pathogenen Keimen und Endoparasiten Konkurrenz bieten. Bei intakter Darmflora bietet die Schleimhaut einen ausreichenden Schutz gegen Krankheitserreger. Ist dieses Gleichgewicht durch ungeeignete Nahrung, oder wie oft bei unseren Tieren, falsch eingesetzte Medikamente oder Entwurmungsmittel aus dem Lot geraten, kommt es zu schwerwiegenden Funktionsstörungen in deren Folge die Schildkröten ernsthaft erkranken können. Zudem wird die massenhafte Vermehrung von Parasiten begünstigt.

 

Da der Magen- Darmtrakt in kurzer Zeit leer ist, haben die Schildkröten schnell wieder Hunger. Das zwingt sie weiter zu fressen und dadurch wesentlich mehr Energie aufzunehmen, als das für eine ausgeglichene Energiebilanz erforderlich wäre. Die Darmpassagezeit wird durch große Futtermengen zusätzlich verkürzt.

Durch die übermäßig zugeführten Kalorien setzt ein zu schnelles Wachstum mit allen negativen Folgen ein. Das sind unter anderem eine ungenügende Einlagerung von Kalzium, krankhafte Wachstums- und Entwicklungsstörungen und eine unnatürlich schnell einsetzende Geschlechtsreife.

In der freien Natur sind Schildkröten Weidegänger und setzen den größten Teil der aufgenommenen Energie in Bewegung und nicht, wie leider oft bei uns, in Wachstum um.

 

Auch in ihren natürlichen Lebensräumen haben die Schildkröten Madenwürmer (Oxyuren), Spulwürmer (Askariden) oder Geiseltierchen (Flagellaten) wie Hexamiten und Trichomonaden. Damit leben die Tiere ohne irgendwelche Beeinträchtigungen. Selbst ein massenhafter Befall von Maden- und Spulwürmern bringt freilebende Schildkröten nicht zwingend aus dem Gleichgewicht. Ein solcher Massenbefall tritt grundsätzlich durch ein Zuviel an eiweißreichen und rohfaserarmen Keimlingen und auch nach einem übermäßigen Genuss von Wildfrüchten auf, die zwar kaum Fruchtzucker, aber teilweise Kohlenhydrate oder Stärke in hoher Konzentration enthalten können, wie beispielsweise die gern gefressenen Wildbirnen. Sobald die Schildkröten wieder rohfaserreiche, trockene Pflanzen, Heu und vor allem auch Blätter von Bäumen und Sträuchern fressen, fehlt den Parasiten die Basis. Sie werden mit dem Kot regelrecht ausgetrieben und reduzieren sich im Darm wieder auf ein natürliches Maß.

 

Die Würmer ernähren sich von dem eiweiß- und kohlenhydratreichen, teilweise auch Zucker enthaltenden Nahrungsbrei. Ich gehe davon aus, dass hierbei überschüssiges Eiweiß, Kohlenhydrate und Zucker gebunden und zusammen mit den Würmern aus dem Darm ausgeschieden werden, ohne dass der Organismus diese für die Schildkröte im Übermaß schädlichen Nahrungsbestandteile vollständig verstoffwechseln oder deren Abbauprodukte in Organe einlagern muss.

 

Auch das Harnsystem hat sich an das sommerheiße, wasserarme Klima in den Ursprungshabitaten angepasst. Die Schildkrötenniere ist ein eher einfaches Organ, das u.a. nicht in der Lage ist ein Zuviel an Eiweiß zu verarbeiten. Ein spezieller Eiweißstoffwechsel sorgt dafür, dass in den heißen, wasserarmen Monaten möglichst viel Wasser im Körper der Schildkröte zurückgehalten wird. Die Abbauprodukte des Eiweißstoffwechsels werden deshalb nicht mit flüssigem Urin, sondern als weiße sämige Harnsäurekristalle relativ trocken abgesetzt.

In den Übergangszeiten im Frühjahr und im Herbst, wenn die Schildkröten ein eher energiereiches Futter fressen, steht ihnen witterungsbedingt genügend Flüssigkeit zur Verfügung, um ein bestimmtes Maß an Eiweiß zu verstoffwechseln und die anfallenden Abbauprodukte aus den Nieren auszuschwemmen.

Wird von der Schildkröte über einen längeren Zeitraum zu viel Eiweiß, egal ob tierischer oder pflanzlicher Herkunft aufgenommen, erhöht sich die Harnsäurekonzentration im Blut, was letztlich zu schmerzhafter Gicht, weiteren schweren Erkrankungen und in der Folge auch zum Tod führt.

Trocknen von Kompass-Latich
Trocknen von Magerwiesenschnitt
Trocknen von Hisbiskus- und Malvenblütenen
Kompass-Lattich
Magerwiesenheu

Kompass-Lattich aus einer Kiesgrube, Blattheu von einer Magerwiese und Hibiskus- und Malvenblüten aus dem Garten an der Sonne getrocknet und in Kartons trocken und dunkel gelagert.

Hibiskusblüten
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