Höckerbildung
bei Europäischen Landschildkröten
Die nachfolgenden Ausführungen zum Thema Höckerbildung wurde von mir bereits im Jahr 2003 veröffentlicht. In den nachfolgenden Jahren habe ich das Phänomen eingehend erforscht. Das zusammengefasste Ergebnis wurde im September 2021 im TESTUDO, der Vereinszeitschrift der Schildkröten-Interessengemeinschaft Schweiz (SIGS) veröffentlicht. Ein PDF des Artikels befindet sich am Ende dieses Berichtes.
Bei den allermeisten in menschlicher Obhut aufgezogenen Europäischen Landschildkröten entwickeln sich im Zentrum der Hornschilde des Rückenpanzers pyramidisch geformte Knochenplatten.
Die Ursachen für die Entstehung dieser Höcker sind bislang wissenschaftlich noch nicht erforscht. Ich will hier meine Feststellungen zu diesem Phänomen kurz darstellen.
Zunächst einmal sollten Sie von der Vorstellung Abstand nehmen, dass alle Schildkröten gleich gewachsen sein müssen. Das ist reines Wunschdenken von uns Schildkrötenhaltern. Das gibt es auch in der Natur nicht. Es finden sich in der freien Wildbahn in jeder Population Schildkröten mit höckerig und unförmig gewachsenen Panzern. Das muss nicht immer zwangsläufig pathologisch sein. Völlig glatt und gleichmäßig gewachsene Schildkrötenpanzer trifft man heute regelmäßig nur in wirklich noch ursprünglichen, vom Menschen weitgehend noch unveränderten Habitaten an.
Glatt gewachsene Dalmatinische Landschildkröte in einem Flusstal in Kroatien.
Gleichmäßig aber höckerig gewachsene T.h.boettgeri in Griechenland.
Glatt aber unförmig gewachsene T.h.boettgeri in Griechenland.
Glatt aber extrem hoch gewachsene T.h.hermanni in der Toskana.
Eine leichte Höckerbildung als solche ist zunächst für sich alleine auch nicht unbedingt krankhaft und bringt für das Tier keinerlei Beeinträchtigung.
Wie entstehen diese Höcker?
Allgemein geht man davon aus, dass die Höcker etwas mit der Haltung in zu trockenem Substrat zu tun haben.
Allerdings bin ich durch meine langjährigen Beobachtungen in der freien Wildbahn zu dem Schluss gekommen, dass die bloße Höckerbildung nicht ausschließlich mit der Umgebungs- und Luftfeuchtigkeit zu tun haben kann, sondern vielmehr am eigentlichen Wasserhaushalt der Schildkröten liegen muss.
Grundsätzlich leben Schildkröten ausschließlich in Habitaten in denen eine hohe Luftfeuchtigkeit herrscht.
Regelmäßig finde ich hauptsächlich glatt gewachsene Tiere in Populationen, welche in Habitaten mit freiem Wasserzugang leben.
Höckerige Schildkröten sind vorwiegend in Gebieten anzutreffen in denen es keine Bäche oder sonstige Wasserstellen gibt. Eine hohe Luftfeuchtigkeit ist auch in diesen Habitaten immer vorhanden.
Ausgesprochen höckerige Tiere habe ich in einem sehr trockenen, wasserarmen weitläufigen Küstenhabitat auf Sardinien gefunden. Die Wassersituation hat sich dort in den letzten Jahren durch die ausbleibenden Regenfälle derart verschärft, dass jährlich hunderte von Schildkröten regelrecht vertrocknen. Schon ein extrem trockener Sommer genügt, um bei Jungtieren ein Höckerwachstum des Knochenpanzers hervorzurufen.
An Wassermangel eingegangene T.h.hermanni auf Sardinien.
Ich kenne Halter die ihre Tiere früher in trockenem Substrat und geringer Luftfeuchtigkeit gehalten haben und trotzdem Schildkröten mit glattem Panzer aufzogen. Diese Halter haben jedoch ihre Schlüpflinge und die heranwachsenden Schildkröten regelmäßig gebadet, wobei die Tiere ihren Wasserhaushalt ins Lot bringen konnten.
Also müsste es im Prinzip für ein glattes Panzerwachstum ausreichend sein, wenn die Schildkröten regelmäßig genügend Wasser aufnehmen. Die reine Umgebungs- und Luftfeuchtigkeit kann aufgrund meiner Erfahrungen und Beobachtungen auf die Höckerbildung keinen Einfluss haben.
Allerdings sind gerade für junge Schildkröten (natürlich auch für ältere) ein feuchtes Substrat und besonders eine hohe relative Luftfeuchtigkeit trotzdem lebensnotwendig. Schildkröten nehmen die Feuchtigkeit ja bekanntlich auch über die Haut auf. Die hohe Luftfeuchtigkeit ist in allen Schildkrötenhabitaten stets vorhanden und ist auch für die Atmungsorgane äußerst wichtig.
In der Natur und grundsätzlich auch bei uns, wäre diese bloße, durch mangelnde Feuchtigkeit verursachte, Höckerbildung an sich für die Tiere keine gesundheitliche Beeinträchtigung.
Nun kommt aber die Kehrseite der Medaille, wie Sie sehr eindrucksvoll an diesen beiden in der Länge aufgesägten Knochenpanzern sehen können.
Den linken Panzer habe ich auf Sardinien zu Anschauungszwecken „präpariert“. Er stammt aus dem oben erwähnten meernahen und somit sehr luftfeuchten Gebiet. Obwohl der Panzer eine relativ starke Höckerung aufweist ist die Wirkelsäule normal gewachsen und eine gesundheitliche Schädigung nicht anzunehmen. Der rechte Panzer gehörte einer viel zu jung gestorbenen mit Futtermitteln tierischer Herkunft falsch ernährten „Dampfaufzucht“. Durch diese extreme Höckerung ist auch die Wirbelsäule geschädigt.
Das eigentliche Problem liegt also nicht an den bloßen Höckern, sondern an der zusätzlich, in menschlicher Obhut oft falschen, viel zu proteinreichen Ernährung und zusätzlich am Wassermangel an dem sehr viele gehaltene Tiere leiden. Etwa 70% der gesamten Körpersubstanz besteht auch bei Schildkröten aus Wasser. Letztendlich laufen alle Lebensprozesse im wässrigen Medium ab. Bereits ein Körperflüssigkeitsverlust von 10 % kann Stoffwechselstörungen zur Folge haben.
Das Vorhandensein einer Wasserschüssel alleine heißt nicht notwendigerweise, dass die Tiere auch genügend Wasser aufnehmen.
Das ist leider ein kaum beachtetes, weil wenig bekanntes Problem!
Da das Futter bei uns in keiner Weise mit den Pflanzen in den Schildkrötenhabitaten verglichen werden kann, brauchen unsere Schildkröten für ein gesundes Wachstum wesentlich mehr Wasser als ihre Artgenossen im Süden.
Das krankhafte Höckerwachstum tritt nur auf, wenn europäische Landschildkröten nicht artgerecht gehalten und natürlich gefüttert werden.
Was eine artgerechte Haltung und eine natürliche Fütterung bedeutet, können Sie ausführlich in meinen beiden Büchern
"Natürliche Haltung und Zucht der Griechischen Landschildkröte" und "Futterpflanzen" nachlesen.
Zwei Punkte möchte ich an dieser Stelle noch ausdrücklich hervorheben.
1. Europäische Landschildkröten sind reine Pflanzenfresser und sollten kein proteinreiches Futter tierischer Herkunft fressen. Dies gilt in besonderem Maße für die im Wachstum befindlichen Jungschildkröten. In unberührten, ursprünglichen Lebensräumen fressen europäische Landschildkröten kein Fleisch oder Aas, sondern ernähren sich ausgewogen von pflanzlicher Kost. Ausnahmsweise fressen Schildkröten in veränderten Lebensräumen nur Fleisch um einen Nährstoffmangel an Mineralien oder Vitaminen, wie beispielsweise Kalzium, Eisen, Zink oder Vitamin D auszugleichen, die sie nicht aus den ihnen zur Verfügung stehenden pflanzlichen Nahrung beziehen können. Sollten Ihre Schildkröten häufig gezielt Schnecken oder Würmer fressen, überdenken Sie Ihren Futterplan und erweitern Sie das Angebot an geeigneten Futterpflanzen.
2. ist für die Gesundheit Europäischer Landschildkröten auch ein starkes Tag/Nachttemperaturgefälle zwingend erforderlich. In den Habitaten beträgt dieser Temperaturunterschied regelmäßig 20 Grad und mehr!
Ja, Sie haben richtig gelesen, zwanzig Grad.
Warum das so ist und welche negativen Auswirkungen ein geringeres Tag/Nachttemperraturgefälle für die Schildkröten hat, können Sie ebenfall in meinen Büchern “Natürliche Haltung und Zucht der Griechischen Landschildkröte” und “Europäische Schildkröten, Lebensraum und Lebensweise” nachlesen.
Ebenmäßig glatt gewachsene Griechische Landschildkröten in einem Urmacchia-Habitat in Albanien und in Nordmazedonien.
Klicken Sie auf das nebenstehende PDF und lesen Sie die eingangs erwähnte Zusammenfassung meiner Forschungen zum Thema Höckerwachstum und Panzerdeformation bei Europäischen Landschildkröten. Veröffentlicht wurde der Artikel im September 2021 im TESTUDO, der Vereinszeitschrift der Schildkröten-Interessengemeinschaft Schweiz (SIGS).
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